Corona mild

Vor einem Jahr war Homeoffice-Frühling und das hieß, der Frühling war im Prinzip genauso wie der Frühling davor, denn die Sonne wärmte und ich war daher sowieso im Garten. Es gab lediglich weniger Besuch und wir fuhren noch weniger nach Berlin. Beides eigentlich keine Nachteile. So dachte man vor einem Jahr. Damals.

IMG_20200527_161740356.jpg

Denn dieses Jahr ist ein endloses Jahr geworden, es geht weiter und immer weiter. Man plant einfach gar nichts mehr außer Lebensmittelkäufe, notwendige Termine, die Versorgung der Tiere, die To-Dos des jeweils nächsten Tages. Sich Urlaub zu nehmen, ist sinnlos geworden. Man befindet sich im Limbus, ist weder richtig da noch dort, man schwimmt so durch die Zeit und beißt sich mit aller Macht am letzten Fünkchen Hoffnung fest, dass es bald, irgendwann, wieder besser wird. Das wird aber zusehends schwerer.

IMG_20200315_121857813.jpg

Inzwischen versuche ich einfach, nicht mehr an Dinge wie Restaurant- oder Barbesuche, Urlaube an fernen oder geliebten Orten, Besuche bei oder von lieben Menschen zu denken.

IMG_20200401_122935268.jpg

Wir haben immer noch Homeoffice-Frühling, allerdings bei eisigen Temperaturen und schlechter Auftragslage. Doch das passt alles gut, denn inmitten dieser ganzen Situation hat es meinen Vater aus dieser Welt gerissen. Man redet gern vom friedlichen Einschlafen. Friedliches Einschlafen ist bei Nierenversagen nur mit medikamentöser Hilfe möglich, denn Körper und Seele wehren sich gegen das Sterben. Und dennoch ist es wahr, wenn der Mensch sein Sterbenmüssen akzeptiert hat. Und das hatte er.

IMG_20200511_201534274_HDR.jpg

Als ich ihn - das letzte Mal - wieder ins Krankenhaus schicken musste und mich dann mit schlechtem Gewissen selbst quälte, weil er wieder über Stunden telefonisch unerreichbar und allein in der Notaufnahme lag, weinte ich in unserem Telefonat am nächsten Morgen. Das machte ich sonst nie bei ihm, aber ich konnte nicht mehr. Da sagte er: “Mach dir um mich keine Sorgen.”

10.jpg

Seine letzten Worte zu mir waren: “Bis zum nächsten Mal.”

IMG_2261.JPG

Dass das Wetter alle paar Minuten zwischen Schnee und Sonne wechselt, ist wohl für eine Beerdigung gerade angemessen. Johann Sebastian Bach, Sarabande aus der Partita in d-Moll, Geige. Udo Lindenberg, Cello, Orgel. Vytautas Barkauskas, Partita, Grave und Toccata, Geige. Elvis Presley, Are you lonesome tonight?, Orgel. Weil es nicht anders geht, stoßen wir auf meinen Vater direkt am Grab an, in seiner Gegenwart, bei Sonne und bei Schnee. Und es war gut.

foto.jpg

Neben dem Aufziehen der eigenen Kinder, wenn man welche hat, gehört es zu den wichtigsten, schwierigsten und schlimmsten Aufgaben des Erwachsenenlebens, sich um die altgewordenen, kranken, sterbenden Eltern zu kümmern. Danach wird plötzlich ein riesiger Raum frei für anderes, doch dieser Raum ist auch eine riesige Leere.

148674759__n.jpg

Das erste Corona-Jahr schenkte mir ein Pferd. Eine junge, zarte, ängstliche, widerspenstige und gleichzeitig anhängliche Stute. Ich lerne nun das Sprichwort vom Weg, der das Ziel ist, neu kennen. Am Sonntag konnte ich nach über drei Monaten das erste Mal wieder auf ihr reiten. Es ist ein guter Weg.

IMG_2269.JPG